Faul sein ist wunderschön

Vorbemerkung: Heute ist der 25. April 2024… den folgenden Text habe ich am 7. April 2020 verfasst. Also vor ziemlich genau 4 Jahren. Er war bis dato unveräffentlicht.
Ich habe spontan entschieden, Euch (und mir) diese Gedanken nicht vorzuenhalten. Eure Isa***

Ihr Lieben alle,

ich muss gestehen, ich genieße diese Zeiten. Mein Terminkalender ist leer. Komplett leer. Ich muss nirgendwo hin. Und genieße das. Total.

Die letzten Jahre hatte ich oft ein schlechtes Gewissen, weil wir mit der Familie so gut wie nie Ausflüge machen. Und das weil niemand jemals Lust hatte auch noch am Wochenende früh aufzustehen., Brotzeit zu machen, drei sich zankende Mädchen, einen überarbeiteten Mann und einen Hund ins Auto zu stopfen, um dann mit Tausenden anderen an irgendeinem Skilift zu stehen, die Almen platt zu rutschen und zu viel Geld auszugeben.

Wir fahren auch im Grunde nie am Wochenende an einen der vielen Seen, geschweige denn ins Freibad, denn auch dort findet man dicht gedrängt alles, was die menschliche Rasse an Gestalten zu bieten hat, und Espresso für 6 Euro 50.

Meine Kinder sind es auch gewohnt mit sich selber zu spielen. Ich bastel nicht mit ihnen, spiele nicht Kaufladen oder singe ihnen Lieder vor. Dafür ist das Haus ständig voller fremder Kinder. Die Frage „darf XY zum Spielen/Chillen/Lernen kommen?“ beantworte ich immer und ohne Ausnahme mit „Ja“.

Natürlich habe ich hunderte Bücher vorgelesen als sie kleiner waren. Natürlich backen wir an Weihnachten gemeinsam Plätzchen. Und natürlich bekommen sie zu jeder Tages- und Nachtzeit was sie brauchen. Eine Umarmung, ein Käsebrot, „Räuberbrotzeit“ auf den Dachboden geliefert oder einen Chauffeur.

Jetzt, „zu diesen Zeiten“, kommt uns das zu Gute. Wir schlafen aus, machen Schularbeiten ab 14 Uhr. Im Schlafanzug. Und leben ohne „müssen“ unseren eigenen Rhythmus.

Wir fühlen uns nicht beengt, nicht eingeschränkt, nicht unserer Freiheit beraubt. Eher im Gegenteil. Endlich fällt mal dieses „Und? Was habt Ihr am Wochenende gemacht?“ nicht mehr in die Kategorie „Bespaßungs-Wettbewerb“ sondern weicht einem erstmalig kollektiven „Öh…nichts“.

Höchsterfreulich wie ich finde 🙂

Ich muss allerdings auch gestehen, dass ich mich nicht beauftragt sehe, alle Lehrer meiner Kinder zu ersetzen. Der Zweitklässlerin helfe ich, sie macht so viel sie mag und kann. Endlich haben wir sogar Zeit und Ruhe, zum abermillionsten Mal zu üben, stapeln, schieben und tanzen, dass acht plus vier 12 ist. Ein schwieriges Unterfangen mit einem Kind, für das Zahlen so unbegreiflich sind wie für mich Griechisch.

Die Achtklässlerin soll sich selber organisieren und ggf die Lehrer mit Frage-Mails bombardieren. Und meine Abiturientin kümmert sich eh um sich selbst. Am Ende werden wir schon nicht im Strudel der Bildungslosigkeit versinken, nur weil wir die Wirtschaftsentwicklung der USA in den 80ern nicht verinnerlicht haben, oder wissen, wie ein Schreibschift-s auszusehen hat, ohne sich dabei die Finger zu brechen.

Dass meine Kinder 24/7 zuhause sind stresst mich nicht. Obwohl ich von mir selber etwas anders erwartet hätte 😅 Sie sind ja schließlich meine Kinder. Wenn sie nicht zu mir gehören, wohin dann?

Meine Kinder wissen dafür jetzt wie man der Mama Rühreier ans Bett bringt, sich mit Hilfe Internet Videos einen Nachmittags Snack macht, oder den Badezimmer Spiegel putzt. Sie lernen (wenn auch mühsam), dass sich Klopapier-Rollen nicht kompostieren wenn man sie neben der Toilette auf den Boden stapelt, und irgendwann jeder Badezimmer-Eimer nicht mehr zugeht, egal wie fest man den Wattepad hineinstopft.

Ich lerne über mich selber, dass ich tatsächlich im Grunde meines Wesens grottenfaul bin, gerne viel und dauernd esse, und locker 9 Stunden am Stück schlafen kann. Und stelle erfreut fest, dass ich ganz großartig mit mir selber klarkomme. Weder mein Keller noch meine Seele mussten sich bisher einem (Online-) Optimierungs-Workshop unterziehen.

Alles wie gehabt. Und das ist gut so.

Wir haben es allerdings auch leicht die Zeit zu genießen. Die Firma meines Mannes läuft ohne Einbußen, jedes Kind hat ein Zimmer, der Garten ist groß, das Wetter ist schön, wir haben uns alle unheimlich gern und gehen liebevoll und voller Respekt miteinander um. Auch wenn es mal einen kurzen Moment „staubt“.

Von meiner „grünen Insel“ beobachte ich, wie so viele Menschen auf der Suche sind. Auf der Suche nach einem Sinn, einer Wahrheit, einer Philosophie oder einem Schuldigen.

Oder nach Lärm und Zerstreuung. Diejenigen die sonst in die Berge fahren um dort „ein bisschen Ruhe zu finden, fühlen sich jetzt in ihren Grundrechten eingeschränkt und überlegen dagegen zu demonstrieren. #echtjetzt? Wo es doch endlich auch hier so schön ruhig ist.

Ich beobachte wie sich langjährige Freunde auf ihren Social Media Kanälen in die Haare kriegen, und sich einem „YouTube-Link-Battle“ hingeben. Ich beobachte wie Systemkritiker, Verschwörungstheoretiker, Hobby-Virologen, Medizin-Versteher und Skeptiker wie Pilze aus dem Boden schießen. „Passiv aggressiv“ als Beschreibung zu nutzen macht mehr Sinn als je zuvor.Egal wohin man schaut. Von manchen meiner Freunde oder Bekannten hätte ich das gar nicht vermutet.

Ich habe ein Dach über den Kopf, genug zu Essen, brauche keine Hefe, habe warmes Wasser und bin mir selbst genug. Und ich kann mich darauf verlassen, dass im totalen Notfall ein Sozialsystem greift, das jedem über die Runden hilft. Wenn auch nicht ohne Verluste. Aber auch das ist ja im Grunde nichts Neues. Nachdem ich bereits selber vor Jahren unseren Familienbetrieb durch die damalige Kurzarbeit und später ein eigenes kleines Unternehmen und die Pleite geführt habe, weiß ich: es geht auch irgendwann wieder aufwärts.

Ich fühle mich nicht eingesperrt. Meine Gedanken sind frei.

Wir müssen unser Zuhause nicht verlassen, keine Gräben schaufeln, keine Patronenhülsen stopfen, unsere Kinder nicht von Brotsuppe ernähren oder fürchten auf offener Straße erschossen zu werden.

Trotzdem schimpfen so viele über die Politik, die Medien, oder einfach nur den Nachbarn.

Warum ist das so?

Ich habe keine Ahnung. Und es ist mir auch egal.

Ich bleibe Zuhause, genieße meine Familie, nehme die Dinge wie sind sind, sehne mich mach genau nichts. Ich werde keine Händewaschvideos drehen und meine Kinder haben keine Lust in ihre Einhorn-Onesies zu schlüpfen um alberne Videos zu produzieren.

Ich fühle mich wie ein Vorzeige-Stubenhocker, genieße mein Glück… und bastel ab nächster Woche ein Frühjahrs-Special. Das mit der „Cordona Diät“ (#allyoucaneat) muss spätestens nach Ostern Schluss sein

Denn vielleicht vielleicht dürfen wir ja im Sommer wieder verreisen…

Für all Euch, die Ihr diese Zeilen gelesen habt und in einer anderen Lage steckt als ich, weil es Zuhause nicht so friedlich ist, das Geld knapp, oder Euch der Himmel auf den Kopf zu fallen droht: nehmt Euch etwas von meinen „3G“ die mich so gut durch diese Wochen tragen: Gelassenheit, Genügsamkeit, Geduld.

Alles wird gut.

Eure Isa***

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